Persönlichkeitsstörungen

Borderline-Störungen

Borderline heißt Grenzlinie. Unter Borderline-Störung versteht man eine psychische Erkrankung zwischen Neurose, Psychose und Depression mit schnell wechselnder Stimmungen. Sie ist schwer zu diagnostizieren. In der psychiatrischen Literatur wird die Existenz von Borderline-Störungen nicht selten bestritten. Wir beziehen und hier auf Beschreibungen der gängigen Literatur und Erfahrungen von Angehörigen und Betroffenen.

Was lässt auf eine Borderline-Störung schließen?

Der sogenannte "Borderliner" unterscheidet sich von fast allen anderen psychisch Kranken dadurch, dass er nicht krank wirkt. Er stellt hohe Anforderungen an seine Umgebung, weil er einerseits die Nähe seiner Mitmenschen sucht, sie andererseits nicht erträgt ("Ich liebe Dich, ich hasse Dich"). Meist prägt ein Gefühl innerer leere und ständiger Langeweile den Erlebnishintergrund der betroffenen Menschen.

Wenn alle oder einige der nachgenannten Symptome zutreffen, ist eine Borderline-Störung zu vermuten:

  • unbeständige und unangemessene intensive zwischenmenschliche Beziehungen
  • starke Stimmungsschwankungen
  • häufige und unangemessene Zornausbrüche
  • wenig realistische Selbsteinschätzung, Neigung zu Selbstmord- drohungen und -versuchen und zur Aggression gegen sich selbst und andere, 
  • das Fehlen eines klaren Identitätsgefühls,
  • verzweifeltes Bemühen, eine reale oder eingebildete Angst vor dem Verlassenwerden zu bekämpfen
  • chronische Gefühle von Leere oder Langeweile
  • vorübergehend paranoide Ausbrüche und ähnlich Symptome

Therapie

Die Behandlung der Borderline-Störung ist eine komplexe und schwie- rige, vorrangig psychotherapeutische Aufgabe. Besonders wichtig ist es, mit dem "Borderliner" ein positives Selbstbild aufzubauen und sein Ich zu stärken. Im Umgang mit ihm sind absolute Offenheit und die Fähigkeit, sich abzugrenzen, von großer Bedeutung. Dies gilt für die Angehörigen ebenso wie für professionelle Helfer.

Eine spezifische medikamentöse Behandlung dieser Störung ist nicht bekannt.

Merkposten:

An manchen Kliniken wurden Spezialstationen für diese Gruppe von Patientinnen und Patienten eingerichtet, hier werden auch längerfristige Behandlungen durchgeführt. Der Schwerpunkt der Therapie liegt aber sicherlich im ambulanten Bereich.
 

Aus: Psychisch krank. Und jetzt,

Erst-Information für Familien mit psychisch kranken Menschen,

Bundesverband ApK 12/2003
 

Fantasien ohne Filter

Manche Auffälligkeiten im Erleben von Borderlinepatienten spiegeln sich in der Hirnaktivität. Dies ermittelte eine Forschergruppe um Henrik Walter und Anna Buchheim an der Universitätsklinik in Ulm. Sie verwendeten dazu die funktionelle Kernspintomografie, ein bildgebendes Verfahren, das relativ punktgenau anzeigt, wann und wo im Gehirn viel Sauerstoff verbraucht wird. Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung mit folgendem Symptomen: Die Patienten sind emotional extrem wankelmütig und impulsiv; ihre Identitätsgefühl ist instabil, ihre Reflexionsfähigkeit herabgesetzt. Nach der auf John Bowlby zurückgehenden "Bindungstheorie" zeigen viele Borderlinepatienten einen desorganisierten Bindungsstil: Gegenüber ihren Mitmenschen schwan- ken sie zwischen extremer Nähe und Zurückweisung. Bindungstheore- tiker führen dies auf eine fehlgeschlagene emotionale Autonomieent-wicklung in der Kindheit zurück, oft verbunden mit Gewalt- und Verlusterfahrungen. 

Henrik Walter und seine Kollegen beobachteten nun die Hirnaktivität von neun Borderlinepatientinnen, während die Patientinnen sprachen. Ihnen wurden mehrdeutige, latent beunruhigende Strichzeichnungen vorgelegt (etwa ein in der Ecke stehendes Kind in abwehrender Haltung), zu denen sie jeweils eine Geschichte erzählen sollten. Die Auswerter unterteilten diese Geschichten nach einem festgelegten Schema in solche, die ein konstruktives Ende nahmen, und solche, die ungelöst in der Schwebe blieben ("Ich denk, dass er nicht wegrennen kann, irgendwie, oder halt sonst irgendwie"). Antworten der letztge- nannten Art galten als Indiz für eine "zusammenbrechende Bindung". Tatsächlich zeigten Patientinnen, die ungelöste Bildgeschichten erzählten, eine auffällige Aktivität im unteren Stirnhirn. Diese Region hat vermutlich die Aufgabe, andere Hirnaktivitäten zu hemmen; nach tiefenpsychologischer Lesart könnte dieser konstruktive Unterdrückungsmechanismus "dafür sorgen, dass bedrohliche mentale Inhalte die kognitiv-emotionale Bearbeitung nicht überschwemmen". Bei manchen Borderlinepatienten, so die Vermutung der Untersucher, versagt diese Schutzvorrichtung, sodass beunruhigende Fantasien jeden zwischenmenschlichen Kontakt begleiten und sabotieren.


aus: PSYCHOLOGIE HEUTE April 2003

Redaktion Thomas Saum-Aldehoff

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