Angststörungen
In den industrialisierten Ländern gehören Angststörungen neben Depressionen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen: etwa 20 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung (12-Monats-Prävalenz) leiden aktuelle an einer klinisch relevanten Angststörung und 25 Prozent haben im Laufe ihres Lebens eine solche durchgemacht. Somit stellen Angststörungen bereits rein quantitativ ein ähnlich großes Gesundheits- und Versorgungsproblem wie depressive Erkrankungen dar, nicht zuletzt auch aufgrund des hohen Chronifizierungsrisikos.
Bei den verschiedenen Formen der Angstsyndrome treten generalisierte Angststörungen etwa doppelt so häufig auf wie Panikattacken. Eine Erhebung aus dem Jahre 2001 wist darauf hin, dass gerade generalisierte Angststörungen hohe direkte und indirekte Versorgungs- und Behandlungskosten verursachen, da von den Betroffenen wiederholt verschiedenste medizinische Gesundheitsleistungen abgerufen werden und schwer-gradige Einschränkungen und Behinderungen relativ rasch eintreten.
Eine effiziente Therapie der generalisierten Angst sowie auch aller anderen Angststörungen hat daher bereits in der primärärztlichen Versorgung einen hohen Stellenwert.
Klassifikation und Symptomatik der Angststörungen
Bei den Angstsyndromen, die zu einer ärztlichen Konsultation führen, ist zwischen der normalen, physiologischen, angemessenen Angst (Anm: also die ganz normale, natürliche Reaktion auf – scheinbar – Bedrohliches, z. B. Angst vor Strafe, Angst vor Schmerzen bei der Zahnarzt-Behandlung, "Lampenfieber") sowie primären und sekundären Angstsyndromen zu differenzieren.
Normale Angst
bedarf üblicherweise keiner speziellen Behandlung
Primäre Angst
Panikattacken mit und ohne Agoraphobie
Panik
nicht auf spezifische Situationen begrenzte, plötzlich auftretende Angstattacken mit psychischen und körperlichen Symptomen wie
- Herzrasen
- Schwitzen
- Zittern/Beben
- Atemnot
- Globusgefühl
- Mundtrockenheit
- Brustschmerz
- Schwindel-, Ohn- machtsgefühl oder Benommenheit
- Taubheits- oder Kribbelgefühl
- Unwirklichkeitsgefühl
- Angst "wahnsinnig zu werden" oder
- zu sterben"
- Inner Unruhe
- Bauchbeschwerden
Agoraphobie
Platzangst, Furcht vor oder Vermeidung von Menschenmengen, öffentlichen Plätzen, Reisen allein oder mit weiter Entfernung von Zuhause
Sozialphobien
Angst vor anderen Menschen, Furcht vor oder Vermeidung von sozialen Situationen bei denen Gefahr besteht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen (z.B. Reden in der Öffentlichkeit, Konferenzen, Parties, Essen vor Anderen). Typische Beschwerden sind Erröten, Händezittern, Übelkeit, Harndrang
Spezifische Phobien
Furcht vor oder Vermeidung von Situationen oder Objekten wie z.B. Tieren (Spinnen Schlangen u.ä.), Höhe, Donner, Flugreisen, engen geschlossenen Räume (z.B. Fahrstuhl, Tunnel), Anblick von Blut, u.ä.
Generalisierte Angst
über Monate anhaltende, nicht auf spezifische Situationen begrenzte generalisierende (frei flottierende) Angst mit psychischen und körperlichen Symptomen, chronisches Grübeln, ständige Sorgen, Furcht vor Unfällen/Krankheiten, unangenehmen Ereignissen, Dauerangst, verbunden mit Zittern, Herzrasen, Schwindel, Übelkeit, Muskelverspannung, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen u.ä.
Angst und Depression gemischt
gleichzeitiges Bestehen leichter Angst- und depressiver Symptome begleitet von vegetativen (Anm.: körperlichen) Beschwerden.
Posttraumatische Belastungsstörungen
Multiple Angstsymptome infolge massiv belastender Erfahrungen (Trauma) wie z.B. Vergewaltigung, Naturkatastrophen, Tötungs- delikten u.ä..
Multiple Symptomatik: Phobie, Depression, Hypervigilanz (Anm.: Angst vor Schlafen), Zwangsstörungen, Albträumen, Agoraphobie, Impulsivität
Sekundäre Angst
Auswirkung internistischer oder neurologischer Grunderkrankungen wie z.B. einer Hyperthyreose (Anm.: Schilddrüsen-Überfunktion), Hypoglycämie (Anm.: Unterzucker), Angina pectoris (Anm.: Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße) und anderen schweren koronaren Herzerkrankungen, chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen (Anm.: z. B. Asthma, chronische Raucherbronchitis) oder Epilepsie.
Wird primär durch die Therapie der Grunderkrankung behandelt
Therapie
Als wirksamste Therapie der Angsterkrankungen gilt die Kombination psychotherapeutischer Maßnahmen mit einer medikamentösen (Pharmako-)Therapie, wobei von einer Behandlungsdauer voon 3-12 Monaten auszugehen ist.
Im Akutfall ist eine medikamentöse Therapie unumgänglich, da – ähnlich der Depression – auch hier die Gefahr der Selbstgefährdung (bis hin zum Suizid) sehr groß ist. Zumindest im Anfang kommen hier auch die – wegen ihres Abhängigkeitspotentials – unbeliebten Benzodiazepine (z.B. Valium®) zum Einsatz. Die Langzeittherapie erfolg dann aber mit anderen Psychopharmaka.
Aussichten
Grundsätzlich sind die Behandlungserfolg gut, wenn die Patienten frühzeitig in ärztliche und psychotherapeutische Behandlung kommen. Bei leichtern Angststörungen (z.B. Phobie) ist psychotherapeutisches "Desensibilisierungstraining" meist sehr erfolgreich. Generalisierte Angststörungen und Panik werden allerdings – in gemilderter Form – meist ein Leben lang bestehen bleiben.
Angststörungen können – auch nach Jahren der Symptomfreiheit – oft plötzlich durch einen entsprechenden Anlass erneut ausgelöst werden. Dann sollte bis zum Abklingen der Symptome unbedingt erneut therapiert werden!
Merkposten:
Angehörige sollten auf die Symptome der Angststörung weder mit Druck (schon gar nicht mit laienhaften Desensibilisierungsver- suchen) noch mit Lächerlich machen reagieren. Ängste müssen angenommen werden (so unbegründet und lächerlich sie auch wirken mögen). Eine qualifizierte Psychotherapie, in Verbindung mit der regelmäßigen Einnahme der verordneten Medikamente ist bis zur Eigenständigkeit des Patienten unbedingt nötig. Darauf sollten die Angehörigen achten.
Aus: Psychisch krank. Und jetzt,
Erst-Information für Familien mit psychisch kranken Menschen,
Bundesverband ApK 12/2003