Schizophrenien

Die Stimmen sind echt

...und doch nicht real. Schizophrene haben während ihrer akustischen Halluzinationen tatsächlich Höreindrücke, die im Gehirn nachweisbar sind.

Wenn an Schizophrenie erkrankte Menschen halluzinierte Stimmen hören, dann ist "hören" durchaus wörtlich zu verstehen. Die Patienten stellen sich die akustischen Eindrücke nicht bloß vor, sondern sie nehmen sie allem Anschein nach so wahr, als handele es sich um echte Laute. Zumindest wird bei ihnen während der Halluzinationen dasselbe Hirnareal aktiv, das auch die echten akustischen Signale der Umwelt zu Sinneseindrücken verarbeitet: die "primäre Hirnrinde" im Schläfenlappen des Großhirns. Mit dieser Entdeckung, die mittlerweile von mehreren anderen Forschungsgruppen bestätigt wurde, sorgte ein Team der psychiatrischen Universitätskliniken in Frankfurt und Bern sowie des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung um David E. Linden und Thomas Dierks für Furore (Nervenheilkunde, 7/2002). 

Die Forscher untersuchten in Frankfurt drei freiwillige Versuchsteilnehmer mit chronischer Schizophrenie unter dem Kernspintomographen. Mithilfe  der funktionellen Kerspintomographie lässt sich indirekt ablesen, wo im Gehirn gerade Sauerstoff verbraucht, also heftig "gearbeitet" wird. Unbeeindruckt von dem relativ lauten Gebrumme der Apparate hörten die Versuchsteilnehmer auch in der Kernspinröhre - wie von den Forschern erhofft - die intervallartig einsetzende und dann wieder verstummenden halluzinierten Stimmen. Die Patienten signalisierten den Wissenschaftlern jeweils per Tastendruck, wann sie Stimmen hörten und wann nicht. 

Wie sich herausstellte, leuchtete auf der Hirnkarte während der Halluzinationen besonders eine Region hell auf: die primäre Hörrinde überlagert von jener, die das konkrete Getöse des Kerspintomographen verursachte. Mit einem Unterschied: Die realen Geräusche wurden in beiden Hirnhemisphären verarbeitet;  bei den halluzinierten Lauten hingegen war der Hörkortex nur einseitig aktiv. Bei Rechtshändern herrschte auf der linken, bei Linkshändern auf der rechten Seite Betriebsamkeit - also jeweils in jener Hirnhälfte, die meist auf Sprachverarbeitung spezialisiert ist. 

Und in der Tat zeigten die Hirnaufnahmen, dass während des Stimmenhörens nicht nur in der Hörrinde, sondern auch in solchen Gehirnregionen geschäftiges Treiben herrschte, die mit der Sprach-produktion und dem Generieren von Wörtern betraut sind. Das Stimmenhören Schizophrener basiert demnach möglicherweise auf einer Art innerem Sprechen. Und doch unterscheidet es sich erheblich von jenen gedanklichen Dialogen mit vorgestellten Personen, wie sie Gesunde kennen. Nichtpsychotische Personen sind nämlich in der Lage, solche inneren Zwiegespräche klar von echten Wahrnehmungen zu trennen - Erstere sind weitaus abstrakter und wirken nicht so "wirklich" und sinnesnah. Das gesunde Gehirn scheint penibel darauf zu achten, dass diese Bereiche nicht vermischt werden. Wie man aus anderen Untersuchungen weiß, ist deshalb beim "normalen" gedanklichen Durchspielen von fiktiven Dialogen die Hörrinde deaktiviert - auf diese Weise wird jede Verwechslungsgefahr von innerem mit äußerem Sprechen gebannt. Bei Schizophrenen hingegen scheint diese Blockade außer Kraft gesetzt. Die fatale Folge: Die Hörrinde wird nicht nur von außen, also von der Umwelt, sondern auch von innen, von den Gedanken, in Aktion versetzt. Die Betreffenden hören, was sich "in Wirklichkeit" nur vorstellen. 

Dieses - bislang noch hypothetische - Modell macht plausibel, warum Schizophrenen ihre psychotischen Eingebungen so real vorkommen. Die schizophrene Störung als Ganzes indes erklärt es nicht, wie David Linden hervorhebt. Schizophrenie sei mehr als bloßes Stimmenhören - die psychotischen Wahrnehmungen werden von den Erkrankten meist in einen wahnhaften Sinnzusammenhang gebracht. Dies geschieht unter Beteiligung von Gedächtnis- (Hippocampus) und Gefühlszentren (Amygdala) des Gehirns, wie Linden und seine Kollegen ebenfalls per Kernspin ermittelten. 

Dennoch könnte die Entdeckung, dass der Hörkortex entscheidend an schizophrenen Halluzinationen beteiligt ist, möglicherweise einen Pfad zu neuen Therapiemethoden weisen. So erprobte eine amerikanische Forschungsgruppe von der Universität Yale im jahr 1999 bei einer kleinen Gruppe schizophrener Patienten die Wirkung einer "repetitiven transkraniellen Magnetstimulation." Dabei werden ausgewählte Zielregionen im Gehirn kurzzeitig starken magnetischen Feldern ausgesetzt, was die Aktivität der dortigen Nervenzellverbände beeinflusst. Stimulierten die Forscher auf diese Weise eine Region zwischen Schläfen- und Scheitellappen mit einer bestimmten Frequenz, so milderte dies bei den Patienten die Häufigkeit und Schwere der Halluzinationen. Möglicherweise setzten die Magnetimpulse die bei Schizophrenen unterbrochene Blockade der Hörrinde teilweise wieder in Kraft und erschwerten so, dass die Hörwahrnehmung mit innerem Sprechen kontaminiert wurde. Ein erster Schritt zur Entwicklung eines neuronalen Filters gegen das quälende Stimmenhören?



aus: PSYCHOLOGIE HEUTE April 2003

Readktion Thomas Saum-Aldehoff

siehe auch: Psychoedukationsgruppen für Angehörige und Betroffene